Brennpunkt 7
Brennpunkt 7
Schulvielfalt durch Bildungsgutscheine
"Fast frischen Mut - Solang ist keine Nacht,
dass endlich nicht der helle Morgen lacht"
dass endlich nicht der helle Morgen lacht"
William Shakespeare
Wie hoch interessant doch ein kurzer Blick in die Verhandlungen der Verfassungsgebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg ist. In der Sitzung am 24. Juni 1953 weist der Abgeordnete Huber (CDU) darauf hin, dass das Schulwesen im Bereich der verfassungsmäßigen Freiheitsrechte liege. Die Freiheitssphäre des Menschen, so Huber, beinhalte die Freiheit vom Staat.
"… der Benützungszwang eines freien Menschen für eine vom Staat errichtete Schulanstalt geht meines Erachtens weiter als mit einer freiheitlichen Verfassung und mit einer freiheitlichen Schulverfassung vereinbar ist… Wir haben die Schule als Staatsanstalt, die gleichzeitig Zwangsanstalt ist."
Darüber hinaus schlug er die Privatisierung des gesamten Schulwesens, der Lehrerbildung und der Schulaufsicht vor. Sein Vorredner, der Abgeordnete Rack (CDU) führte dazu aus:
"Das Erziehungswesen in einem Lande muss so frei, so beweglich und vielseitig gestaltet sein, dass die Pflege des geistigen Lebens auf jeder echten weltanschaulichen Grundlage gewährleistet ist (…) Ein demokratisches Schulwesen ist ein freies Schulwesen, das der individuellen Gestaltungsfreudigkeit allen nur möglichen Raum gewährt. Ein totalitärer Staat dagegen wird sein gesamtes Schulwesen monopolmäßig verstaatlichen und jede Art von Privatschulwesen beseitigen."
Und weiter spricht er sich dafür aus, dass
"ein jeder Steuerzahler für die geleisteten Steuergelder Gutscheine erhält. Diese Gutscheine sollen überall Gültigkeit haben, d. h. die Vorteile, die der Staat der öffentlichen Schule gewährt, sollte auch den Kindern der Privatschule gegeben werden."
Der Abgeordnete Huber greift diesen Gedanken wenig später wieder auf:
"Man könnte das bisherige Finanzierungssystem in der Weise umstellen, dass man den einzelnen Schülern einen Anspruch auf eine finanzielle Zuwendung gibt, … dass man die Mittel aufteilt auf einzelne Schülerstipendien, die die einzelnen Schüler in dem Augenblick erhalten, wo sie schulpflichtig werden. Dieses Stipendium nimmt der Schüler dann dorthin mit, wo er die Schule besucht. (… Der Staat legt seinen Schuletat fest und lässt in gleicher Weise an diesem Schuletat, an diesem Geldstrom teil-nehmen. Das wäre meines Erachtens demokratisch, und das würde dem Schulwesen zustattenkommen."
Ist das nicht ein faszinierender Beleg für die Idee "Bildungsgutschein", um das Schulwesen mit unserer "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" kompatibel zu machen? Und was ist daraus geworden? Bis heute nichts! Von daher besehen ist es deshalb selbstverständlich, dass wir keine Steuern zahlen für die Finanzierung von Schulen, die wir für unsere Kinder nicht haben wollen, beispielsweise Staatsschulen, die – zentral – von oben herab reguliert – den vielfältigen, individuellen Anliegen unserer Kinder nicht adäquat begegnen können. Gerade deshalb sind Bürgerschulen, deren LehrerInnen von staatlicher Obrigkeit unbelastet auf die Kinder in all ihrer Individualität zugehen können, zunehmend mehr begehrt.
Uns interessiert, wie Sie darüber denken.
Die Länder sind nach Art. 7 abs. 4 Satz 3 GG gehalten, "den Privatschulen die Genehmigung zu erteilen, wenn diese in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen nicht gefördert wird." Praktisch jedoch bezuschussen die Länder ihre eigenen Schulen mehr als die genehmigten Schulen in staatsfreier Trägerschaft! Warum diese Ungleichbehandlung? Um für ihre eigenen Schulen Wettbewerbsvorteile zu erreichen? Jedenfalls herrscht damit in Staatsschulen im Gegensatz zu den anderen Schulgeldfreiheit. Bürgerschulen sind gehalten, wegen gekürzter staatlicher Zuwendungen die Fehlbeträge mittels Schulgeld auszugleichen.
Wir meinen, dass durch solche Ungleichheit nicht nur Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG sondern zudem Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wird, denn beide Rechtsnormen sind Ausdruck des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Beteiligten oder Betroffenen.
Art. 3 Abs. 1 GG lautet wie folgt:
"Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."
Für das Bundesverfassungsgericht ist dieser Gleichheitssatz ein umfassendes Gerechtigkeitsgebot und damit Willkürverbot, das alle Bereiche staatlichen Handelns umgreift. Der Staat darf beispielsweise "wesentlich Gleiches nicht ungleich behandeln." Wir sehen in genehmigten Bürgerschulen andererseits wesentlich Gleiches. Damit ist die staatliche Zuwendung in unterschiedlicher Höhe willkürhaft und somit rechtswidrig. Mag der Staat auch an seinem Fehlverhalten dank juristischen Beistandes festhalten können, seine Bürgerferne wird dadurch anschaulich.
Uns interessiert Ihre Auffassung zu unseren Darlegungen, im Prinzip gleich oder sind Sie grundsätzlich anderer oder gar anderer Auffassung?
Alternative Bildungsgutschein
Es mag etliche Gründe geben, warum der Staat sich schwertut, die Träger staatsfreier Schulen in seine ohnehin schon komplizierte Haushaltsführung mit einzubeziehen. Dies alles kann ohne Not dahingestellt bleiben, denn hierzu gibt es seit langem eine praktikable und zudem Kostensparende Alternative, die Verwirklichung der Gleichbehandlung durch Bildungsgutscheine. Der Staat teilt allen Familien mit schulpflichtigen Kindern pro Schuljahr und Kind je einen Bildungsgutschein zu. Dieser ermöglicht anstatt des Schulgeldes den jetzt kostenlosen Besuch einer Schule nach freier Wahl. Damit verbunden ist die Rechtsbestimmung durchgehender Schulgeldfreiheit. Die betreffende Schule löst alle erhaltenen Gutscheine beim Staat gegen Geld zur Finanzierung ihrer Personal- und Sachkosten ein. Alle Schulen, ob staatlich oder staatsfrei, erlangen vom Staat unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes denselben Betrag je Bildungsgutschein.
Damit gelingt es dem Staat, für alle Eltern schulpflichtiger Kinder durch Wahlfreiheit dem ohnehin lang überfällige Vielfaltsgebot nach Art. 2 Abs. 1 GG im Schulwesen zu ermöglichen. Zudem ebnet der Staat die Wandlung vom staatlichen Angebot hin zu einem bürgerlichen Nachfragerecht. Dadurch entsteht Schulvielfalt.
Beispiele aus der Praxis des Bildungsgutscheins
Chile ist bereits mit reicher Erfahrung gesegnet. Das Überraschende dabei ist, dass der Bildungsgutschein nicht Ergebnis tatkräftiger Bürgerbewegung sondern diktatorischer Anordnung ist. Mit Hilfe US-amerikanischer Geheimdienst-Diplomatie putschte sich 1973 eine Militärjunta unter Augusto Pinochet gegen die damalige Linksregierung unter Salvador Allende an die Macht. Allende wurde ermordet, Gegner des Regimes verfolgt und eliminiert. Zur Beruhigung des Volks dezentralisierte und deregulierte die Junta 1979 den Bildungsbereich. Alle öffentlichen Schulen wurden kommunalisiert. Die gesamte laufende Finanzierung für öffentliche wie staatsfreie Schulen wurde von Schulgeld auf Bildungsgutschein je Schüler*in umgemünzt. Kein zusätzliches Schulgeld mehr. Neben finanzieller Entlastung des Staates wurde damit Wahlfreiheit für die Schuleltern geschaffen. Eine neue Vielfalt staatsfreier Schulen entstand. Letzten Endes das politische Hauptmotiv fürs Erreichen des „Burgfriedens“. Bemerkenswert: Nach Ende des Junta-Diktats und Wiederkehr demokratischer Verhältnisse änderte sich viel, die Bildungsreform jedoch blieb dank allseits guter Erfahrungen bestehen.
Schweden ist das Vorzeigemodell Europas, denn bis dahin galt die Überzeugung, dass das US-amerikanische Gutschein-Prinzip nicht auf europäische Verhältnisse übertragbar sei. Vor der amerikanischen Infizierung glich Schwedens Schulordnung derjenigen deutscher Machart: Zentralistisch durchwirkte Bürokratie mit hoher Vorschriftendichte. 1991 wurde analog Chile – die staatliche Schulaufsicht kommunalisiert und kurz danach die Finanzierungsregelung durch personengebundene Gutscheine für alle SchülerInnen ersetzt, wieder verbunden mit dem Verbot "für die freistehenden" oder "unabhängigen" Schulen, Zusatzschulgeld einzufordern. Der Grund: die Gleichheit aller Eltern soll gewahrt bleiben. Amüsant: Bis 2001 hatte der Gutschein einen Wert von nur 85% der von den Kommunen für ihre Schulen aufzubringenden laufenden Kosten pro Jahr. Offensichtlich wollte der Staat mit dieser Minderung seinen kommunalisierten Schulen gegenüber den unabhängigen Schulen sozusagen einen Konkurrenten-Vorteil zubilligen. Diese Ungleichbehandlung wurde 2001 jedoch aufgehoben, allerdings mit der nur zu gut nachvollziehbaren Folge, dass der Gesamt-umfang der unabhängigen Schulbildung in die Höhe schnellte.
Fazit
Tatsache ist, dass alles Lernen nun mal durch menschliche Ressourcenvielfalt geprägt ist und daraus mannigfaltige Elternansprüche an den Schule haltenden Staat entstehen. Demgegenüber steht das staatliche Schulwesen. Es ist gekennzeichnet durch Inhalte und Programme, die einheitlich mittels der Schulgesetze der Länder normiert sind und sodann, auf dem langen Weg über Verordnungen, Richtlinien und Erlasse bis in alle Einzelheiten aufgefaltet, durch die hierarchisch geprägten Instanzen hindurch bis hinunter zu den einzelnen Schulen das Lernen bestimmen. Diesem schmerzlichen Gegensatz zwischen elterlichen Vielfaltswünschen und staatlicher Monokultur in einheitlichem Schulangebot vermag der Staat nicht abzuhelfen, denn seine schulische Zentralverwaltung, zudem gesetzlich vorbestimmt, steht notwendiger Vielgestaltigkeit prinzipiell entgegen.
Gelingende Abhilfe leistet hingegen die Einrichtung eines bereits langjährig erprobten Bildungsgutscheins. Ein solcher Schritt verwirklicht eine Win-Win-Situation: Einerseits wird aus der Angebots- eine Nachfragewirklichkeit, andererseits kann von da ab der Staat, indem er seinen Schulen das Recht zur juristischen Person einräumt, seine aufwändige Finanzverwaltung einkürzen. Zudem gewinnt der Staat damit ungleich mehr Nähe zu seinen Bürgern.
Wäre die langjährige schwedische Praxis nicht eine probable Problemlösung für die hiesigen Bundesländer? Wie sehen Sie das?